(Un-)Zulässigkeit von Testkäufen durch Detektive
Eine Besprechung des Urteils des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen
vom 09.04.2009 (Az.: 5 Ca 2327/08) unter Berücksichtigung
der höchstrichterlichen Rechtsprechung
I. Einführung
Am 28.04.2009 berichtete die Print-Ausgabe der WAZ (Westdeutsche Allgemeine) unter der Schlagzeile „Gericht stärkt Verkäufer“ von einem Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 09.04.2009 (Az.: 5 Ca 2327/08). Thematisiert wurden die Zulässigkeit respektive Unzulässigkeit von durch Detektive unternommenen Testkäufen (sog. Ehrlichkeitskontrollen)sowie die damit im Zusammenhang stehende unwirksame Kündigung einer Arbeitnehmerin eines bekannten Süßwarenunternehmens.
Was beim verständigen Leser des Artikels Verwunderung auslösen musste, war die Erkenntnis, dass der Tenor des Urteils samt Auszüge der Urteilsbegründung offensichtlich einen neuen Trend gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung setzen sollte, die Testkäufe bisher als nicht unübliches und zulässiges Kontrollmittel von Arbeitgebern gewürdigt hatte.
Richtig ist zwar, dass das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen auf der niedrigsten Stufe/Instanz richterlicher Rechtsprechung steht und zu hoffen ist, dass die vermeintlichen Argumente und apodiktischen Weisheiten der Urteilsbegründung mittels der bereits vom Unternehmen eingelegten Berufung zum Landesarbeitsgericht Hamm korrigiert werden.
Besonders diskussionswürdig erscheint das vorliegende Urteil aber trotzdem aus zwei Gründen:
Testkäufe gehören zum Spektrum originärer detektivischer Dienstleistungen. Qualifizierte Detektive sollten die rechtlichen Rahmenbedingungen und Problemstellungen ihrer Arbeit kennen.
Der zweite Aspekt ist folgender:
Das Image der Sicherheitsbranche wird seit 2008 verstärkt in der Öffentlichkeit diskutiert. Grund sind bekannt gewordene illegale Mitarbeiterüberwachungen, die in der Folge zu Forderungen nach einem stärkeren Schutz von Arbeitnehmern, sogar nach einem eigenen Arbeitnehmerdatenschutzgesetz geführt haben.
Das Gelsenkirchener Urteil zeigt in diesem Kontext auf, wie es um den Ruf von Detektiven steht und wie bekannt gewordene investigative Fehltritte der Vergangenheit zu sprichwörtlich „Vorverurteilungen“ führen können, die die rechtliche Zulässigkeit von Detektiveinsätzen in Frage stellen und damit auch die Betätigungsfelder der Detekteien zukünftig möglicherweise nachhaltig einschränken.
Zur Verdeutlichung folgt das nahezu ungekürzte erstinstanzliche Urteil (eingerückt und kursiv
gedruckt) mit sowohl Hinweisen auf die bisherige Rechtsprechung als auch rechtstheoretischen wie auch pointierten Anmerkungen des Kommentators.
II. Urteil und Kommentierung
Arbeitsgericht Gelsenkirchen,
5. Kammer, Richter am Arbeitsgericht Gelsenkirchen XXXXXXXX
Aktenzeichen: 5 Ca 2327/08
Verkündet am 09.04.2009
Tenor:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der
Beklagten vom 26.09.2008, der Klägerin zugegangen am 27.09.2008, zum 31.03.2009
aufgelöst ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zur rechtskräftigen Entscheidung über
den Feststellungsantrag zu den im Arbeitsvertrag vom 01.01.1994 geregelten
Arbeitsbedingungen als Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4. Der Streitwert wird auf 12.783,80 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten, fristgerechten
Kündigung der Beklagten.
Die am … geborene, geschiedene und einem Sohn zum Unterhalt verpflichtete Klägerin
war seit dem 01. Januar 1994 bei der Beklagten als Verkaufsstellenverwalterin zu einem
Bruttomonatsgehalt von zuletzt 2.526,76 EUR beschäftigt. Sie verrichtete ihre Tätigkeit
in der Verkaufsfiliale in G1. Die Beklagte beschäftigt mehr als 10 Arbeitnehmer.
Mit dem Vorwurf gegen die Klägerin, sie habe entgegen einer Kassieranweisung
mehrmals den Kauf von Waren nicht in die Kasse eingebont, keinen Bon erstellt und das
vereinnahmte Geld nicht in die Kassenschublade eingelegt, kündigte die Beklagte das
Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 26.09.2008 zum 31.03.2009. Gegen die Kündigung
richtet sich die bei Gericht am 10.10.2008 eingegangene Kündigungsschutzklage der
Klägerin.
Der Kündigung war aufgrund desselben Kündigungssachverhalts eine fristlose,
hilfsweise fristgerecht zum 30.11.2008 ausgesprochene Kündigung der Beklagten mit
Schreiben vom 27.05.2008 vorangegangen, die Gegenstand des beigezogenen
Verfahrens 2 Ca 1062/08 war, welches am 03.09.2008 mit einem Vergleich endete. In
diesem wurde zu Ziffer 1) vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien
zu unveränderten Arbeitsbedingungen unaufgelöst über den 27.05.2008 und 30.11.2008
fortbesteht.
Zur Kündigung der Beklagten vom 26.09.2008 trägt die Klägerin u.a. vor:
Der Kündigungssachverhalt sei durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom
27.05.2008 und das darauf bezogene, vergleichsweise beigelegte Verfahren 2 Ca
1062/08, verbraucht.
Bei der Betriebsratsanhörung –sofern diese stattgefunden habe- seien der Vorsitzenden
des Betriebsrates Unterlagen über angebliche Testkäufe nicht vorgelegt worden. Die
Testkäufe hätten nicht stattgefunden. Sie habe von den Testkäufen erst nachträglich, in
einem Gespräch am 20.05.2008, erfahren. Sie, die Klägerin, habe an dem angeblichen
Tagen der Testkäufe nicht den alleinigen Zugang zur Kasse gehabt. Die
Tageskassenberichte seien von anderen Kolleginnen unterzeichnet worden.
Die Klägerin beantragt:
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten mit
Schreiben vom 26.09.2008, ihr zugegangen am 27.09.2008, zum 31.03.2009 aufgelöst
worden ist,
2. sie zu den im Arbeitsvertrag vom 01.01.1994 geregelten Arbeitsbedingungen als
Mitarbeiterin bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag
weiterzubeschäftigen,
hilfsweise zu 1) und 2)
ihr ein endgültiges Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor:
Der Betriebsrat habe nach Anhörung durch ihr, der Beklagten, Schreiben vom
17.09.2008 (Bl. 178/179 d.A.) der Kündigung zugestimmt.
Durch zwei als Zeugen zu vernehmenden Mitarbeiter eines beauftragten Unternehmens
sei am 17.12.2007, 26.02.2008, 19.05.2008 und 20.05.2008 jeweils ein Testkauf
durchgeführt worden, wobei die Klägerin ihr übergebene Beträge von tagesweise
jeweils 5,60 EUR, 5,60 EUR, 6,90 EUR und 6,90 EUR nicht eingebont und nicht in die
Kassenschublade eingelegt habe. Die Geldbeträge seien auch nicht als Überschuss bei
den Tageseinnahmen aufgetaucht, wie die Tageskassenberichte zeigen würden. Am
20.05.2008 habe einer der Mitarbeiter des beauftragten Unternehmens mit einem
bestimmten 5 EUR Schein bezahlt, der dann später –wie sich während eines Gesprächs
mit der Klägerin am 20.05.2008 herausgestellt habe- in der Geldbörse der Klägerin
aufgefunden worden sei.
Wegen des Parteivorbringens im Übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der
Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
1.
Die fristgemäße Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 26.09.2008 hat das
Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht beendet.
1.1.
Es bleibt dahingestellt, ob die Kündigung allein schon wegen einer nicht
ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG rechtsunwirksam
ist. Die Beklagte hat mit den Vorwürfen gegen die Klägerin, entgegen einer
Kassieranweisung mehrmals den Kauf von Waren nicht in die Kasse eingebont zu
haben, jeweils keinen Bon erstellt zu haben und das vereinnahmte Geld nicht in die
Kassenschublade eingelegt zu haben, eine sog. Tatkündigung ausgesprochen, während
das Schreiben der Beklagten an den Betriebsrat zwecks dessen Anhörung vom
17.09.2008 nicht deutlich gemacht hat, ob der Betriebsrat zu einer Tat- oder zu einer
Verdachtskündigung angehört werden soll. So heißt es zum Schluss des Schreibens
nach Schilderung der Testkäufe und Darlegung der Vorwürfe:
„Darüber hinaus haben wir den Verdacht, dass die Mitarbeiterin sich das Geld zu
unseren Lasten angeeignet hat.“
Zu Beginn der Urteilsbegründung wird angedeutet, dass -wie in der Praxis nicht seltenmöglicherweise
keine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates gem. § 102 I BetrVG vor
Ausspruch der Kündigung stattgefunden hat, die Kündigung also aus formalen Gründen
unwirksam sein könnte. Ob und wie sich dieser Umstand aber tatsächlich auf die Wirksamkeit
der ausgesprochenen Kündigung auswirkt, wurde vom Arbeitsgericht nicht weiter
problematisiert, was dem Umstand Rechnung trägt, dass das Gericht offensichtlich andere,
eindeutige Mängel der ausgesprochenen Kündigung erkannt hat und diese nachfolgend
erörtert.
1.2.
Unabhängig von der Frage einer ordnungsgemäßen Betriebsratanhörung ist die
Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial nicht gerechtfertigt. Sie ist nicht durch
Gründe im Verhalten der Klägerin bedingt.
Die gegen die Klägerin erhobenen, oben unter 1.1. dargestellten Vorwürfe können
geeignet sein, möglicherweise auch ohne vorhergehende Abmahnung einen Grund
darzustellen, der bei Abwägung der beiderseitigen Interessen einen verständig
entscheidenden Arbeitgeber zur (fristgerechten) Kündigung veranlassen würde.
Das Gericht vermag jedoch nicht den Wahrheitsgehalt und die Stichhaltigkeit der
Vorwürfe festzustellen. Der Vernehmung der für den Verlauf von angeblichen
Testkäufen am 17.12.2007, am 26.02.2008, am 19.05.2008 und am 20.05.2008
benannten Privatdetektive als Zeugen steht ein Beweiserhebungs- bzw.
Beweisverwertungsverbot entgegen.
Das erkennende Gericht gesteht zu, dass die gegen die gekündigte Mitarbeiterin erhobenen
Vorwürfe dem Grunde nach geeignet sind, eine wirksame, sogar fristlose Tatkündigung
auszusprechen.
Der richterlichen Vernehmung der in dem Fall eingeschalteten Detektive, die Ihre
Feststellungen laut Vorbringen der Beklagtenseite bezeugen könnten, steht jedoch nach
Auffassung des Gerichtes ein Beweiserhebungs- bzw. Beweisverwertungsverbot entgegen.
Folglich kann und darf das Gericht die Vorwürfe nicht verifizieren und bei der Beurteilung
der Recht- oder Unrechtmäßigkeit der Kündigung verwerten.
Testkäufe ohne vorherige, diese zeitlich eingrenzende Information des Arbeitnehmers
verstoßen gegen die Vorschriften der §§ 241 Abs. 2, 242 BGB (Verstoß des Arbeitgebers
gegen die arbeitsvertragliche Rücksichts- und Fürsorgepflicht sowie gegen Treu und
Glauben), indem sie in das grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht des
Arbeitnehmers (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) unverhältnismäßig eingreifen;
die genannten Vorschriften des BGB sind angesichts der verwandten Generalklauseln
im Lichte der Grundrechte auszulegen (a). Der Verwertung der unter Verletzung des
Persönlichkeitsrechts der Klägerin unzulässig erlangten Beweise steht zudem der
Grundsatz eines fairen Prozessverfahrens gem. Art. 6 MRK entgegen (b). Das Gericht
sieht sich in der Annahme eines grundsätzlichen Beweiserhebungs- und
Verwertungsverbots in Fällen von geheimen Testkäufen nicht zuletzt durch die
höchstrichterliche französische Rechtsprechung bestätigt (c).
Drei Argumentationsstränge
(a, b, c)
werden vom Gericht angeführt, warum letztlich eine
Vernehmung der Testkäufer bzw. Detektive ausscheidet.
a) Unangekündigte, zeitlich nicht eingegrenzte Testkäufe greifen unverhältnismäßig in das
allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ein.
b) Eine Verwertung unzulässig erlangter Beweise verstößt gegen den Grundsatz eines fairen
Prozesses gem. Art. 6. der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten
(MRK)
c) Das Gericht zieht die höchstrichterliche französische Rechtsprechung heran, die Testkäufe
grundsätzlich verbietet, und orientiert sich an ihr.
a.)
In Ermanglung einer gesetzlichen Regelung zur Frage der zulässigen Reichweite von
Kontrollmaßnahmen des Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitnehmern hält das
Bundesarbeitsgericht mit dem Hinweis, das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers sei
nicht schrankenlos gewährleistet, Ehrlichkeitskontrollen des Arbeitnehmers für erlaubt,
wenn eine konkrete Güter- und Interessenabwägung ergebe, dass derartige Eingriffe in
das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers durch überwiegende Interessen des
Arbeitgebers gerechtfertig und verhältnismäßig seien (BAG Urteil vom 04.04.1990 – 5
AZR 299/89, AP Nr. 21 zu § 611 Persönlichkeitsrecht; BAG, Urteil vom 18.11.1999 – 2
AZR 743/98 – NZA 2000, 418 unter Hinweis auf den Beschluss des
Bundesarbeitsgerichtes vom 26.03.1991 – 1 ABR 26/90).
Das LAG Hamm hat dementsprechend in einem Fall des Einsatzes eines Detektivs zur
Kontrolle der Einhaltung von Arbeitszeiten im Ergebnis einer Verletzung des
Persönlichkeitsrechts des betroffenen Arbeitnehmers verneint (Urteil vom 08.03.2007 –
17 Sa 1604/06), und zwar u.a. mit dem Hinweis, der Arbeitgeber könne stattdessen auch
selbst heimliche Kontrollen vornehmen.
Die erkennende Kammer verkennt nicht, dass Kontrollen der Arbeitsleistung des
Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber aus dessen Direktionsrecht folgen und daher
grundsätzlich erlaubt sind. Bei der Frage der Art und Weise solcher Kontrollen hat der
Arbeitgeber allerdings das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers zu beachten,
welches auch an seinem Arbeitsplatz zu garantieren ist. Dieses Recht gewichtet die
Kammer im Verhältnis zu den ökonomisch begründeten Interessen des Arbeitgebers
stärker, zumindest in den Fällen, wo ohne vorherige Information des Arbeitnehmers
Privatdetektive nicht nur passiv beobachten, sondern –wie vorliegend- aktiv künstliche
Testsituationen schaffen. Dies ist wie folgt zu begründen:
Zunächst wiederholt das Arbeitsgericht Gelsenkirchen die Essenzen der höchstrichterlichen
deutschen Rechtsprechung zum Persönlichkeitsrecht, die Ehrlichkeitskontrollen von
Arbeitgebern bei sorgfältiger Abwägung der widerstreitenden Interessen für zulässig erachtet.
Das Gericht stellt im Weiteren fest, dass -wie so oft im Spannungsverhältnis zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer- zwei Grundrechtspositionen, nämlich das allg.
Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers (Art. 2 I i.V.m. Art, 1 GG) sowie die Berufsfreiheit
(Art. 12 GG) und die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) des Arbeitgebers kollidieren. Jedoch
kommt es aufgrund einer in diesem Zusammenhang neuen Argumentation zu dem Ergebnis,
dass das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers höher einzustufen ist als das ökonomische
Interesse des Arbeitgebers.
-
Zunächst ist bei der Abwägung gegensätzlicher Grundrechtspositionen abstrakt nicht
außer Acht zu lassen, dass dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers (nach Art. 2
Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG) ein grundsätzlich höheres Gewicht beizumessen ist als
grundrechtlich durch Art. 12, 14 GG geschützte, ökonomische Interessen des
Arbeitgebers, vorliegend z. Bsp. dessen Interesse an der Verhinderung von
Kassenmankos und Warenschwund. Das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ist in
dessen Menschenwürde verwurzelt und steht, anders als die Grundrechtspositionen aus
Art. 12 und 14 GG, gem. Art. 79 Abs. 3 GG nicht einmal zur Disposition des Gesetzbzw.
des Verfassungsgebers (gegen eine abstrakte Abwägung, BAG Beschluss vom
26.08.2008, NZA 2008, 1190 Rdnr. 21).
Die vorerwähnte Begründung basiert auf den Umstand, dass gem. Art. 79 III GG zwei Artikel durch den Gesetzgeber auf „ewig“ nicht angetastet werden dürfen. Diese sind die im Grundgesetz Artikel 1 (Schutz der Menschenwürde) und Artikel 20 (Strukturprinzipien der BRD wie Republik, Bundesstaat, Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat) mit einer Ewigkeitsgarantie versehenen Verfassungsprinzipien. Das Arbeitsgericht stützt sich nun darauf, dass das Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 I i.V.m. Art. 1 GG ein Bestandteil des Schutzes der Menschenwürde ist. Und da im Gegensatz zu den bereits angeführten Art. 12 GG und Art. 14 GG der Schutz der Menschenwürde als Bestandteil des Persönlichkeitsrechts unveränderbar ist und vom Verfassungsgeber nicht angetastet werden darf, komme diesem Schutz eine höhere Bedeutung zu.
Diese Wertung ist nach hiesiger Auffassung fehlerhaft.
Die 5. Kammer des Arbeitsgerichts verkennt in der Begründung, dass Art. 2 GG, dieser gleichermaßen Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes, zum einen nicht schrankenlos gewährleistet und überdies nicht zwingend von der sog. Ewigkeitsgarantie umfasst wird und durchaus einer Verfassungsänderung zum Opfer fallen könnte. Eine andere Auslegung würde eine unzulässige und vom Gesetzgeber nicht formulierte Ausdehnung des Art. 79 III GG über dessen Wortlaut hinaus auch auf andere Artikel des Grundgesetzes bedeuten.
Darüber hinaus spricht gegen die Argumentation der Kammer, dass ein vorhandener oder nicht vorhandener -theoretischer- Einfluss des Verfassungsgebers auf die Änderung von Artikeln des Grundgesetzes nicht automatisch auch etwas über den Ausgang einer Gewichtung widerstreitender Interessen aussagt.
Folgte man dieser Argumentation bedenkenlos, so hätte dies einen nicht beabsichtigten Einfluss auf die unstreitig vorhandenen Schranken des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes.
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Bei zeitlich nicht angekündigten Testkäufen entsteht (im Wissen, dass diese im
Unternehmen üblich und jederzeit möglich sind –wie dies bei der Klägerin der Fall war)
beim Arbeitnehmer ein permanenter, daher unmenschlicher Überwachungsdruck. Jeder
Kunde kann für einen Kassierer/Kassiererin ein falscher sein. Die dauernde Angst, nicht
fehlerfrei zu arbeiten und Opfer einer gestellten Falle zu werden, führt auf Dauer zur
Deformation der Persönlichkeit des Arbeitnehmers.
Die Kammer moniert weiter, dass die erfolgten Testkäufe zeitlich nicht zuvor angekündigt wurden. Aber ist es Testkäufen und bspw. Qualitätskontrollen allgemein nicht immanent, dass eine vorherige Ankündigung und zeitliche Befristung den gewünschten Erfolg, nämlich eine objektive und stichprobenartige Beurteilung der Arbeitsleistung, vereiteln würde? Und gilt dies nicht naturgemäß für Ehrlichkeitskontrollen? Hier ist es doch so, dass ein Arbeitgeber ein nachvollziehbares, gesteigertes Bedürfnis gerade gegenüber Kassierern/Kassiererinnen nach Vertrauen und Wahrung seiner Vermögensinteressen hat und das Ergebnis einer Kontrolle der Mitarbeiterehrlichkeit durch keinerlei äußere Einwirkungen verfälscht werden darf, auch nicht durch eine vorherige Ankündigung des Testzeitraumes.
Das Argument des „Überwachungsdrucks“ kann gleichsam keine Anerkennung finden.
Kassenbereiche in Verkaufsräumen werden u.a. zum Schutz von Überfällen nicht selten dauerhaft mittels Videokameraeinrichtungen überwacht. Sollte eine solche Maßnahme tatsächlich weniger einschneidend sein als der stichprobenartige Einsatz anonymisierter Testkäufer, die die Rolle ordinärer Kunden einnehmen?
Völlig fehl geht auch die Annahme, Mitarbeiter könnten „Opfer einer gestellten Falle“ werden. Bereits das Wort „Falle“ impliziert in semantischer Hinsicht den provozierten und wie auch immer gelenkten Anreiz, gesteigertes Unrecht zu begehen. Die bereits hier in der Urteilsbegründung unterstellte Ermittlung in Form des sog. „agent provocateur“ kann jedoch wegen des sozialtypischen Alltagsverhaltens der Detektive -Kauf und Kassiervorgang- nicht gesehen werden. In der Simulation einer typischen Kundenbegegnung liegt kein Unwert. Auch wurde nicht zu einem strafbaren Verhalten angestiftet oder verleitet (siehe auch LAG Hamm vom 09.05.2005, Az.: 8 Sa 118/04).
Schließlich ist in dem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass jeder Kunde seinen Unmut gegenüber der Geschäftsleitung kund tun könnte, unabhängig davon, ob er zuvor von einem Mitarbeiter schlecht beraten wurde oder ob er beim Kassiervorgang nicht das vollständige Wechselgeld erhalten hat. Ein gewöhnlicher und zur jeweiligen Tätigkeit immanenter Arbeitsdruck ist also immer gegenwärtig.
Umso verständlicher ist es, überprüft der Arbeitgeber stichprobenartig und objektiv, also ohne vorherige Ankündigung, das (ungelenkte) Kassierverhalten seiner Arbeitnehmer.
Zum Thema Überwachungsdruck und Kontrollrecht des Arbeitgebers führte übrigens noch das LAG Hamm in seiner Entscheidung vom 08.03.2007, Az.: 17 Sa 1604/06, aus:
„…Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber grundsätzlich ein Kontrollrecht bezüglich des Arbeitsverhaltens hat, das er regelmäßig durch die Vorgesetzten des Arbeitnehmers ausüben lässt. Der von jeder Überwachung ausgehende Druck mag zwar bei dem Einsatz von Detektiven stärker sein als bei der Überwachung durch Vorgesetzte (vgl. auch BAG, Beschluss vom 26.03.1991, a.a.O.). Ein entscheidender Unterschied zur heimlichen Überwachung durch Vorgesetzte oder durch andere Mitarbeiter besteht jedoch nicht (vgl. LAG Nürnberg, Urteil vom 20.03.2003 – 4 Sa 136/02 – LAGE § 626 BGB Nr. 149). Im Übrigen ging es nicht um die Überwachung des Klägers in seinem nicht öffentlichen Privatbereich. Der Kernbereich des Grundrechtsschutzes nach Art. 1, 2 GG war nicht berührt (vgl. auch Schaub, a.a.O., § 55 Rdnr. 13; Lingemann/Göpfert, Der Einsatz von Detektiven im Arbeitsrecht, DB 1997, 374)…“.
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Weiterhin ist das in der Menschenwürde verwurzelte Persönlichkeitsrecht des
ahnungslos getesteten Arbeitnehmers dadurch verletzt, dass bei Durchführung
unangekündigter Testkäufe der Arbeitnehmer an der Kasse zum bloßen Objekt, zum
„Versuchskaninchen“ und zum Spielball der Testkäufer degradiert wird. Besonders ist
die Grenze zur Manipulation des Arbeitnehmers durch als Testkäufer fungierende
Privatdetektive fließend, die im Sinne eines „agent provocateur“ tätig werden. Nicht
außer acht zu lassen ist, dass diese als Testkäufer ein gewisses, berufliches Interesse
haben, den Arbeitnehmer einer Pflichtverletzung zu überführen, sind sie doch zu diesem
Zweck engagiert worden und misst sich doch der Erfolg ihrer Tätigkeit an eben diesem
Zweck. Dies unterscheidet Privatdetektive weitgehend von staatlichen Polizeibeamten.
Das Gericht setzt offensichtlich den zu urteilenden Sachverhalt gleich mit theoretischen Möglichkeiten, über Gebühr und unverhältnismäßig das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Mitarbeitern zu verletzen. Fakt ist, dass seriös arbeitende Detekteien als neutrale Beobachter fungieren. Fallen Sie tatsächlich und im rechtlich relevanten Sinne in die Rolle eines „agent provokateur“, provozieren sie mithin die Straftat eines anderen in rechtlich zu missbilligender Weise, tendiert der Beweiswert respektive die Beweisverwertbarkeit der detektivischen Feststellungen gegen Null. Eine solche Prüfung nahm das zu erkennende Gericht mangels Zeugenvernehmung jedoch erst gar nicht vor, sondern präjudizierte Befangenheit und mangelnde Seriosität der Branche.
Das Gericht verkennt auch, dass der Arbeitgeber von seinem Arbeitnehmer nicht auf „Knopfdruck“ ein bestimmtes Verhalten verlangt und eine individuelle Prüfungssituation erzeugt, sondern kurzzeitig anonym und stichprobenartig eine typische Arbeitssituation simuliert. Handelt es sich bei den detektivischen Feststellungen dann um eine geringe Verfehlung, kann der Arbeitgeber den Mitarbeiter ermahnen. Bei schwereren Verstößen folgt folgerichtig eine Abmahnung oder sogar die Kündigung des Arbeitnehmers.
Für das konkrete (Fehl-)Verhalten des Mitarbeiters von nicht zuvor absehbarer Schwere trifft den Arbeitgeber mangels Forcierung jedoch keine Verantwortung. Sie liegt auch nicht im Einflussbereich des neutralen Testkäufers, sondern alleinig beim Mitarbeiter.
-
Unter dem Blickwinkel des Rechtmäßigkeitsmaßstabs der Erforderlichkeit von
unangekündigten Testkäufen zur Ermittlung der Ursachen von Inventurdifferenzen muss
nach Meinung der erkennenden Kammer über die konkrete Verdachts- und
Ermittlungssituation im Einzelfall hinausgehend auf generell einem Arbeitgeber zur
Verfügung stehende anderweitige, präventive und/oder nachträglich bestehende
Möglichkeiten abgestellt werden, seine gem. Art. 12 und Art. 14 geschützten,
wirtschaftlichen Interessen zu verfolgen. Dem entsprechend darf bei einer Güter- und
Interessenabwägung nicht ausgeblendet werden, das Kassierern und Kassiererinnen
durch technische Vorrichtungen (ggf. unter Wahrung der Mitbestimmung des
Betriebsrats) kontrolliert werden können, das Kundenhinweisen nachgegangen werden
kann, und das bei Kassen- oder Warendifferenzen Mitarbeitergespräche zur Ermittlung
der Ursachen geführt werden können. Bei dringendem Verdacht von dauernden
Pflichtverletzungen, ggf. mit vermögensschädigender Absicht kann sich der Arbeitgeber
von dem Betroffenen Arbeitnehmer im Wege der Verdachtskündigung trennen. Im
Interesse der Prävention verbleibt dem Arbeitgeber schließlich immer die Möglichkeit,
Testkäufer nach vorheriger, zeitlich derartige Käufe eingrenzender Informationen des
Arbeitnehmers durchzuführen.
Das Gericht stellt eine Verhältnismäßigkeitsprüfung an und kommt zu dem Ergebnis, dass andere, weniger einschneidende Maßnahmen geeignet, erforderlich und angemessen gewesen wären, Fehlverhalten am Arbeitsplatz festzustellen.
Zu dem Argument der technischen Vorrichtungen:
Das Gericht sieht es als weniger belastend an, den Mitarbeiter mittels technischer Vorrichtungen zu überprüfen. Dass aber gerade eine solche Maßnahme in der Regel einen höheren Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers darstellt, verkennt das Gericht völlig. Deutlich wird dies aber bereits dadurch, dass der Einsatz von technischen Überwachungsmitteln der Mitbestimmung eines vorhandenen Betriebsrates bedarf gem. § 87 I Nr. 6 BetrVG.
Gerade weil solche technischen Maßnahmen von besonderer Intensität sind, häufig von langer oder sogar unbeschränkter Dauer und darüber hinaus erheblichen Einfluss auf Arbeitsklima bzw. Arbeitsdruck haben, ist ein Zusammenwirken mit dem Betriebsrat gesetzlich vorgeschrieben.
Nach bisher uneingeschränkter Auffassung in der Rechtsprechung ist demgegenüber der Einsatz von Testkäufern bzw. Detektiven nicht mitbestimmungspflichtig, da nicht das Ordnungsverhalten eines Arbeitnehmers überprüft wird, sondern „nur“ das Arbeitsverhalten (siehe allgemein hierzu auch BAG, Az.: 1 ABR 26/90).
Zu dem Argument, der Arbeitgeber könne Kundenhinweisen nachgehen:
Während dem Kunden unstreitig das Recht zuerkannt wird, seine dem Personal gegenüber mitunter akribisch gehegten Ansprüche als erfüllt oder nicht erfüllt anzusehen und sich gegebenenfalls zu beschweren, soll das Kontrollrecht des Arbeitgebers soweit Restriktion erfahren, dass unangekündigte Kundensimulationen zur Feststellung von mehr oder weniger schweren arbeitsvertraglich relevanten Pflichtenverstößen unzulässig sind.
Folgte man diesem Postulat, so wäre die Konsequenz, dass Beschwerden von Kunden und der damit verbundene Imageschaden oder der Vermögensschaden des Unternehmers wegen falscher Registrierung von Zahlungsein- bzw. -ausgängen zeitlich der Korrekturmöglichkeit des Arbeitgebers vorausgehen müssten.
Zu dem Argument, der Arbeitgeber könne klärende Mitarbeitergespräche führen:
Mitarbeitergespräche nehmen in einem Unternehmen mit gutem Betriebsklima eine wichtige Rolle ein, und die Vorstellung, man könne Kassendifferenzen durch Gespräche vermeiden, ist wünschenswert. Allerdings steht dieser Gedanke fern der Realität. Denn es ist eben nicht anzunehmen, dass ein „normales“ und in angenehmer Atmosphäre stattfindendes Gespräch vergleichbar effektiv respektive sachverhaltsklärend ist.
Mitarbeitergespräche, die geeignet sein sollen, fahrlässige Inventurdifferenzen zu erklären oder unerkannte Diebstähle zu erkennen, müssten vielmehr einer ungewollten Verhörsituation gleichen, um vom Personal eigenes fahrlässiges oder sogar vorsätzliches Fehlverhalten zu erfahren.
Auch die zweite vorstellbare Variante, nämlich Arbeitnehmer hinsichtlich des Arbeitsverhaltens ihrer Kollegen und nach Unregelmäßigkeiten zu befragen, ist nicht erstrebenswert und für ein angenehmes Miteinander und betriebliches Klima förderlich.
Zu dem Argument, der Arbeitgeber könne ggf. eine Verdachtskündigung aussprechen:
Im Gegensatz zu einer Tatkündigung ist bei einer Verdachtskündigung das pflichtwidrige Verhalten des Arbeitnehmers eben nicht bewiesen. Der „Verdacht“ und die resultierende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bilden in diesem Fall einen eigenständigen Kündigungsgrund (siehe auch MünchKomm-Schwerdtner, §
626 Rn. 171).
Nach hiesiger Auffassung erscheint es befremdlich zu glauben, eine Verdachtskündigung seif ür den Arbeitnehmer die günstigere Alternative als eine auf Beweisen gestützte Tatkündigung, denn das Instrumentarium der Verdachtskündigung ist eine gesellschaftspolitisch nicht unumstrittene Möglichkeit, die fristlose Trennung vom Arbeitnehmer herbeizuführen.
Sie stößt zum einen auf Unmut, weil der Mitarbeiter seinen Arbeitsplatz lediglich aufgrund eines Verdachtes verliert und nicht aufgrund von erwiesenen Tatsachen. Dem gekündigten Arbeitnehmer haftet so das Stigma des „schuldig seins“ unter Umständen dauerhaft an.
Der Arbeitgeber hingegen setzt sich der üblen Nachrede aus, er habe den Mitarbeiter lediglich „loswerden“ wollen.
Die Verdachtskündigung widerspricht zum anderen auch dem Grundgedanken der Unschuldsvermutung gem. Art. 6 II MRK. Sie lautet: „Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.“
Zugegeben, dieser Rechtsgedanke wird dem Strafrecht zugeordnet. Es dürfte jedoch schwer fallen, der Gesellschaft zu erklären, dass dieser Grundsatz im Arbeitsrecht keine Rolle spielen soll. Noch schwieriger dürfte es der 5. Kammer des Arbeitsgerichtes Gelsenkirchen fallen, einer Klägerin zu erklären, dass die gegen sie und lediglich auf einen Verdacht gestützteKündigung rechtmäßig ist.
Zu dem Argument, der Arbeitgeber könne zur Prävention Testkäufe ankündigen:
Wie bereits zuvor erläutert ist offenkundig, dass es dem Sinn einer Ehrlichkeitskontrolle
widerspricht, diese vorher anzukündigen. Selbst bei angekündigten reinen Qualitätskontrollen stellen sich Mitarbeiter auf die Situation entsprechend ein, und es ist zu erwarten, dass sie zumindest vorübergehend besondere Sorgfalt walten lassen. Unterstellt man jedoch einem Mitarbeiter ein konspiratives Handeln, so geht für den avisierten Zeitraum der Testkäufe die Kontrolle gänzlich ins Leere.
In jedem Fall wäre –jetzt konkret auf den vorliegenden Fall bezogen – unter dem
Maßstab der Erforderlichkeit und auch der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu
prüfen, ob gerade gegen die Klägerin vor Durchführung der Testkäufe ein konkreter
Verdacht pflichtwidriger Handlungen bestand, der persönlichkeitsverletztende
Ermittlungsmaßnahmen wie geheime Testkäufe notwendig gemacht hätte. Umstände für
einen derartigen Verdacht sind nicht vorgetragen.
Nach alledem wiegt bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit von unangekündigten
Testkäufen und der prozessualen Verwertbarkeit entsprechender Zeugenaussagen zu
deren Ergebnissen das aus der Menschenwürde abgeleitete Persönlichkeitsrecht des
Arbeitnehmers, hier der Klägerin, stärker als die rechtlich geschützten Interessen des
Arbeitgebers.
Ehrlichkeitskontrollen wurden bislang immer dann als zulässiges Mittel angesehen, wenn dem Arbeitgeber keine anderen, weniger einschneidenden Mittel zur Verfügung standen, die Ehrlichkeit der Mitarbeiter zu überprüfen, siehe auch den ähnlichen Fall des LAG Rheinland-Pfalz vom 25.02.2002, Az.: 7 Sa 1327/01.
Das LAG äußerte hier:
„…Die Beklagte hat ein nachvollziehbares Interesse daran, jedenfalls durch stichprobenartige Kontrollen zu überprüfen, ob und inwieweit die von ihr in den verschiedenen Filialen eingesetzten Kassierer die kassierten Geldbeträge ordnungsgemäß registrieren. Aufgrund der unstreitig unterlassenen Registrierung des der Klägerin vom Testeinkäufer am 29.06.2001 übergebenen Betrages bestand zudem ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse der Beklagten daran, nunmehr durch ein gezieltes Vorgehen die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der Klägerin als Kassenkraft zu überprüfen. Danach beinhaltete auch das gezielte und verdeckte Vorgehen des von der Beklagten beauftragten Testeinkäufers keinen rechtswidrigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin…“
b.)
Aussagen von Privatdetektiven als Zeugen, die den Hergang und das Ergebnis
heimlicher Testkäufe bekunden sollen, sind nicht nur wegen der mit unangekündigten
Testkäufen einhergehenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen (siehe oben 1.2.a.),
sondern auch wegen des Grundsatzes eines zu gewährleistenden fairen
Prozessverfahrens als Beweismittel nicht verwertbar.
Werden Testkäufe vom Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zwecks deren zeitlicher
Eingrenzung nicht vorher mitgeteilt, hat der Arbeitnehmer als Kläger im
Kündigungsschutzverfahren gegen eine auf das Ergebnis der Testkäufe gestützte
Kündigung des Arbeitgebers kaum Mittel des Gegenbeweises bzw. keine ausreichende
Möglichkeit, Tatsachen vorzutragen, die die Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit der
die Testkäufe bekundenden Zeugen bzw. Zeugenaussagen erschüttern könnten (siehe für
den Strafprozess BGH, 1. Strafsenat, Urteil vom 18.11.1999, 1 StR 221/99). Zwar mag
–nach einer Vernehmung der vom Arbeitgeber benannten Zeugen zum Hergang von
Testkäufen- mit Rücksicht auf Art. 6 Abs. 1 MRK die Vernehmung des klagenden
Arbeitnehmers als Partei bzw. dessen Anhörung als Partei geboten sein, jedoch stehen
einer solchen Aussage belastende Zeugenbekundungen gleich mehrerer professioneller
Testkäufer entgegen, die nicht nur die Testkäufe inszeniert, sondern auch ihre Aussagen
vor Gericht einstudiert haben werden. Der gekündigte Arbeitnehmer hat ihren
Bekundungen erfahrungsgemäß –eben weil er in völliger Unkenntnis ihn betreffender
Testkäufe war- wenig entgegenzusetzen. In diesem Zusammenhang wendet die Klägerin
im vorliegenden Fall im Übrigen zu Recht ein, dass –wenn sie schon nicht über den
ersten Testkauf informiert war- dann wenigstens danach hätte benachrichtigt werden
müssen, um sofort Möglichkeit zur Gegenvorstellung zu haben und um für neue
Testkäufe „gerüstet“ zu sein.
Das Arbeitsgericht Gelsenkirchen stützt sein Urteil im zweiten Argumentationsstrang auf die vermeintliche Verletzung des Rechtes auf ein faires Verfahren gem. Art. 6 I MRK. Hierbei verkennt es offensichtlich, dass die Einhaltung des Grundsatzes nicht schon deshalb als gefährdet anzusehen ist, weil eine Testkaufsituation lediglich simuliert wurde und darüber hinaus nicht in Richtung eines vertragswidrigen oder strafbaren Verhaltens der Mitarbeiterin forciert worden ist. Eine andere Einschätzung könnte sich allenfalls dann ergeben, wenn die Testkäufer die Mitarbeiterin zu einem pflichtwidrigen Handeln bzw. einer Straftat provoziert hätten (siehe hierzu auch EGMR Nr. 15100/06 (1. Kammer) – Urteil vom 21.02.2008).
Der zweite angreifbare Punkt dieser Argumentation ergibt sich aus der pauschalisierten Unterstellung, Testkäufer studierten ihre Aussagen ein. Ginge man einen kleinen Schritt, weiter, man könnte dieser Aussage auch die Unterstellung entnehmen, Testkäufer tätigten vor Gericht miteinander abgesprochene Gefälligkeitsaussagen.
Wie auch immer man die Begründung der 5. Kammer exakt interpretieren mag. Sie lässt seitens des Gerichtes auf ein nicht besonders positives Image von Testkäufern respektive Detektiven schließen und führt im Ergebnis folgenschwer dazu, dass auf die Vernehmung der Testkäufer verzichtet wurde, die Arbeitnehmerkündigung mangels Gründe unwirksam ist und die Arbeitnehmerin im Unternehmen weiterzubeschäftigen ist.
c.)
Die vom erkennenden Gericht vorgenommenen, über den streitbefangenen Einzelfall
hinausgehenden Abwägungen der gegensätzlichen Rechtspositionen von Arbeitnehmer
und Arbeitgeber, die zur Annahme eines grundsätzlichen Beweiserhebungs- und
Verwertungsverbot im Falle von unangemeldeten Testkäufen führen, entsprechen im
Ergebnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Frankreich. Sie nimmt in allen
Fällen der geheimen Beschattung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber oder dessen
Hilfspersonen, auch in Fällen arrangierter, künstlicher Testsituationen, grundsätzlich
ein Verwertungsverbot derart ermittelter Beweise an und begründet dies u.a. unter
Hinweis auf das illoyale Verhalten des Arbeitgebers (zum Fall des Testkaufs Cour de
Cassation soc. 18.03.2008 Nr. 06-40.852 P + B – s. auch Waquet, Halte aux
Stratagémes, Semaine Sociale, Lamy, April 2008). Zwar verkennt das Gericht nicht,
dass die Rechtsprechung in anderen Ländern nicht ohne weiteres in die Judikatur des
eigenen Landes übertragen werden kann, zumal bei Rechtsvergleichen leicht der
rechtssystematische und rechtshistorische Zusammenhang von Rechtsprechung
verlorengehen kann. Dennoch sei auf die Judikatur französischer Arbeitsgerichte hier
verwiesen, da offenbar wird, dass richterliche Güter- und Interessenabwägung bei
bestimmten Sachverhaltskonstellationen der Arbeitnehmerüberwachung, das heißt nicht
nur bezogen auf den streitbefangenen Einzelfall, zu generellen Verboten und Sanktionen
(etwa in Form von Verwertungsverboten) führen können und müssen. Angesichts der
deutlichen Zunahme geheimer Maßnahmen zur Überwachung von Arbeitnehmern in
deutschen Unternehmen sind –in Ermanglung gesetzlicher Regelungen- u.a. gerade die
Gerichte aufgerufen, den Schutz von Grundrechten bei der Überwachung von
Arbeitnehmern sicherzustellen. Generelle Verbots- und Sanktionsregeln im Falle von
geheimen Testkäufen, aber auch in Fällen anderer Kontrollmaßnahmen von der
Arbeitgeberseite, die sich nicht nur aus einer Interessenabwägung im Einzelfall ergeben
und sich nur auf einen solchen beziehen, dienen einem wirksamen Persönlichkeitsschutz
im Arbeitsverhältnis und geben zudem Rechtssicherheit für die Rechtspraxis.
Eine Rechtsprechung, die „nur“ auf eine auf den konkreten Fall abstellende Güter- und
Interessenabwägung und damit eine lediglich einzelfallbezogene Anwendung des
Verhältnismäßigkeitsprinzips einfordert, erscheint nur bedingt dem Gebot eines
wirksamen Grundrechtsschutzes im Arbeitsverhältnis gerecht zu werden.
Das Urteil zeigt noch mal sehr deutlich, wie verhängnisvoll sich übertriebene Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und deren Bekanntwerden auswirken. Noch mehr: Das Gericht zweifelt an einer auf den Einzelfall bezogenen Rechtsprechung wie noch in der Vergangenheit judiziert und fordert generelle Regelungen zur Mitarbeiterüberwachung. Doch bis dahin sei es Aufgabe der Gerichte, den Grundrechtsschutz der Arbeitnehmer wirksam zu gewährleisten, so das Arbeitsgericht.
Während bisher also im Grundsatz die Regel galt, dass alles das erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten wurde, stützt nun das Arbeitsgericht Gelsenkirchen sein Urteil im dritten Argumentationsstrang auf die befremdliche Annahme, dass das, was nicht als erlaubt normiert wurde, als verboten anzusehen ist.
Das Gericht sieht sich zwangsläufig in der Pflicht, „angesichts der deutlichen Zunahme geheimer Maßnahmen zur Überwachung von Arbeitnehmern in deutschen Unternehmen“ korrigierend tätig zu werden und verweist mittelbar auf ausufernde Mitarbeiterüberwachungen der Jahre 2008 und 2009, die -wie hinreichend bekannt- teilweise auch gegen geltende Bestimmungen verstoßen haben.
Dabei übersieht es aber zwei wesentliche Punkte:
Zum einen werden bzw. wurden die Verantwortlichen der angedeuteten Skandale wegen der unternehmerischen und detektivischen Fehlverhalten zur Rechenschaft gezogen, woraus zwangsläufig resultiert, dass gesetzgeberische und durch die Rechtsprechung konkretisierte Grenzen und Eingriffsvoraussetzungen faktisch existieren, diese in den angedeuteten Skandalen überschritten wurden und wirtschaftliche wie auch ordnungsrechtliche bzw. strafrechtliche Repressalien folgen bzw. folgten.
Zum anderen behandelten die bekannt gewordenen Sachverhalte nicht die Themen Testkäufe und Ehrlichkeitskontrollen, die bereits mehrfach gerichtlich und höchstrichterlich entschieden wurden, sondern sie behandelten bis dato nicht realisierte zügellose und fast ausschließlich verdachtsunabhängige operative Explorationen mit zum Teil höchster Eingriffsintensität in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Dabei spielte das tatsächliche Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer -wenn überhaupt- nur eine marginale Rolle.
Dass sich das Arbeitsgericht Gelsenkirchen in diesem Kontext an der höchstrichterlichen französischen Rechtsprechung orientiert und die deutsche Rechtsprechung übergeht, ist wohl kaum juristisch, sondern vielmehr politisch zu begründen und wirkt argumentatorisch sowohl befremdlich als auch kraftlos.
Im Ergebnis avanciert der weisungsgebundene und in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehende Mitarbeiter im Unternehmen zum unantastbaren, während die Rechte des in der Verantwortung stehenden Unternehmers auf Kontrolle der Arbeitsabläufe, insbesondere der ordnungsgemäßen Kassenbuchungen –man möge die folgende Metapher verzeihen- über gebühr zum „stumpfen Schwert“ degradiert werden.
2.
Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den
Feststellungsantrag zu den im Arbeitsvertrag vom 01.01.1994 geregelten
Arbeitsbedingungen als Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen.
Die Klägerin hat angesichts der erstinstanzlichen Feststellung der Unwirksamkeit der
Kündigung durch den Arbeitgeber einen arbeitsvertraglichen, vorläufigen
Weiterbeschäftigungsanspruch bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das
Feststellungsbegehren. Überwiegende Interessen des Arbeitgebers, die einer solchen
Weiterbeschäftigung entgegenstehen können, sind nicht ersichtlich.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die weitere Nebenentscheidung auf §§ 61
Abs. 1, 42 Abs. 4 GKG. Der festzusetzende Streitwert entspricht der fünffachen
Bruttomonatsvergütung der Klägerin.
Rechtsmittelbelehrung…
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